Geliebtes Sparschwein
(Dieter Wolf)

Kohle ist nicht alles‚ gewiß! Aber ohne Pieselotten‚ Penunsen und Lewonzen wird das Leben schnell fad. Daß die Euronen oder‚ besser gesagt‚ die Eurolotten in der Geschichte des Schotters nur eine kurze Episode darstellen‚ wer hätte das gedacht‚ jene ausgenommen‚ die es schon immer sagten. Am Ende ist es Hankel wie Tasse.
Also wie war das nun wirklich damals in Neustadt in der Thälmannstraße am Herkulesbrunnen? Versuchen wir uns alle noch einmal – so gut es geht – zu erinnern‚ es ist schon ziemlich lange her. An warmen Tagen ist es besonders schön‚ am Herkulesbrunnen zu sitzen‚ aber auch an den anderen Tagen ist es schön‚ wenn man nichts zu tun hat oder zumindest meint‚ nichts zu tun zu haben. Natürlich ist dies relativ‚ doch es ist schön für : Detlef‚ Hartmut‚ Stefan‚ Dietmar‚ Paul‚ Klaus‚ Hans‚ Georg‚ Simon‚ Wolfgang‚ Peter‚ Fred‚ Sebastian‚ Armin‚ Leopold‚ Christian‚ Peter‚ Gugu‚ Patte‚ Flocki‚ Teobold‚ Hamilka‚ Orion‚ Achtelblöd‚ Becks‚ Bommerlunder‚ Hollidau‚ Jonny Walker‚ Jim Bean‚ Trusetal‚ Eberfeucht‚ Waldi‚ Siedichfür‚ Schleiz‚ Schweiz und Schneits. Vollständige Listen sind selten zu erstellen. Jedenfalls war es ein heißer Tag und der erste Kasten Bier bereits um zehn Uhr ausgetrunken. Als Peter zu Paul sagte‚ trinke in der Not‚ dann hast du auch Zeit dafür‚ wußte er noch nicht‚ wie groß die Not werden würde. Geld wird ja bekanntlich nur zum Problem‚ wenn man entweder zu viel oder zu wenig hat. Peter‚ der so sparsam war‚ daß alle ihn nur Petr nannten‚ machte sich im Namen der Versammlung auf den Weg zum Geldautomaten‚ wie immer mit einem lustigen Spruch auf den Lippen: »Die Sonne scheint‚ das Bargeld lacht‚ wir saufen durch bis morgen Nacht. Zuvor geh ich zu Aldi. Mein Geld hört auf den Namen Waldi.«
Nun ja‚ Waldmeister oder Jägermeister ist am Ende vielleicht auch gar nicht mehr so wichtig. Am Automaten angekommen‚ mußte er allerdings feststellen‚ daß der Automat keine Lust hatte‚ Geld auszuzahlen. Wir fühlen oft instinktiv‚ selbst wenn wir meinen‚ daß alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet zu sein scheinen‚ daß unsere Lebensprobleme gar nicht berührt sind. »Scheiß Russenbude!« raunte Petr und trat wie Napoleon den Rückzug an‚ mit der vagen Vermutung: »Die Sau vor mir hat nichts mehr im Automaten gelassen!« Unerbittlich erklomm die Sonne ihre gewünschte Höhe. Was nützt es uns‚ wenn die theoretischen Hauptprobleme unserer Zeit gelöst sind‚ aber kein Zaster aus der Kiste kommt! Soll die Bewältigung substantieller Lebensprobleme schweigend vollzogen werden? Dies gilt wohl nur für jene‚ die ihre Leiter‚ die ihnen sonst zu ihren Einsichten verhalf‚ fortgeworfen haben. Ansonsten sollte man nachschauen‚ wo der Hund den Knochen vergraben hat‚ oder am besten gleich eine Leere bei der Bank machen. Petr zog nicht die Konsequenzen des schweigenden Tuns und der Zuwendung zu den nur nichtsprachlich lösbaren Lebensproblemen. Er kratzte sich am Rücken und später tiefer und fluchte wie ein Bergmann‚ der den Eingang zum Schacht nicht mehr findet.
Es gibt sinnvolle Sätze: »Alles wird gut.« »Vieles wird besser.« Aber in manchen Situationen gibt es sinnlose Sätze. Es sind die Fragen nach dem Warum. Heute kann man noch weniger über das Unsagbare reden als früher. Zudem gibt es unsinnige Sätze‚ die Patentschutz genießen. Sie dienen der Politik und den Medien zur Erläuterung von Sachverhalten‚ sie offerieren das Meinbare: »Nein‚ wie isses schön!« »Am Arsch‚ juchhee!« »In Zukunft gibt es Gans‚ ganz wenig.« Nun machten sich Fred‚ Sebastian‚ Armin‚ Leopold und wie sie alle heißen‚ auf den Weg zu den Bankautomaten der Stadt. Irgendwas geht ja immer‚ selbst am Mittwochnachmittag‚ aber jetzt war es erst halb elf. Man beobachtet‚ experimentiert und sammelt Erfahrungen. An diesem verratzten Automaten ging rein gar nichts mehr. Noch mehr als sonst verkörperten sie eine Scheinwelt. Scheinsätze machten die Runde: »Isses denn Gemüse‚ das ging doch vorhin noch!« »Das nennst du Aufräumen‚ du Scheißautomat‚ her mit dem Kies!« »Mist‚ knietief im Dispo!« »Der Zaster is auf Arbeit‚ keiner zu Hause!« Bald wurde der Herkulesbrunnen zum Heerlager der Enttäuschten. Das war ein Ding an sich! Aber ein Ding an sich läßt sich schwer verifizieren. Und ein Ding an sich kommt selten allein. Das sind schon besondere Dinger‚ meistens. Mit ihnen verhält es sich so‚ wie mit der Behauptung‚ daß es »pattige« und »nicht-pattige« Dinge gäbe‚ ohne daß man auf die Frage‚ wie man im konkreten Falle feststellen könne‚ ob ein Ding pattig ist oder nicht‚ eine Antwort weiß. Lola ist eine Primzahl‚ auch das war ein Ding an sich. Aber was in der Scheinwelt der Zahlen schief lief‚ wollte zunächst keiner sagen‚ bis auf die eine dürftige Auskunft: »Nichts!« Das nichtende Nichts hatte die Scheine vernichtet. Auch wenn die Sonne scheint‚ am Ende verschwindet sie doch mit einem großen Scheinsatz hinter dem Horizont.
Aber Männer sind sich einig‚ wenn sie in der »Bretagne« stecken. »Man darf dem Geld nicht hinterher rennen‚ man muß ihm entgegenkommen. Es ist oft scheu wie Schmidts Katze und panisch wie der Wellensittich von Avenarius. Bald formierte sich das wilde Heer‚ und ohne den Gleichschritt zu wahren‚ marschierte es zum nächsten Supermarkt. Mit Einkaufswagen bewaffnet‚ ohne auf Widerstand zu treffen‚ wurde erbeutet‚ was begehrenswert erschien. Wie ein Lindwurm schlängelten sie sich durch die Reihen und später zur Kasse‚ an der zu dieser denkwürdigen Stunde Gabi saß. Als Petr an der Kasse angelangt war‚ fuhr er mit seinem Wagen weiter‚ ohne etwas auf das Band zu legen‚ ebenso taten es alle anderen. »Eiverbibbsch«‚ rief die Kassiererin‚ »märkd ihr noch was?«
Die Polizei hatte an diesem Tag vieles zu tun. Als der Streifenwagen am Nachmittag unweit des Herkulesbrunnens stoppte‚ stieg niemand von den Polizisten aus. Die Feier des Lebens und des Sommers strebte ihrem Höhepunkt entgegen. Einer der Polizisten sagte zu dem anderen: »Sollen wir uns für dieses mickrige Gehalt heute die Nase platt hauen lassen?« »Nein«‚ sagte der andere‚ »die brauchen wir noch. Wir schreiben einfach auf‚ wie alles gewesen ist.«
Und so geschah es. Alles kam‚ wie es kommen mußte. Am Abend sagte die Tagesschausprecherin: »Jetzt kommen wir zum Wetterbericht.« Aber dann knisterte und raschelte es. Jemand schob ein Blatt Papier auf ihren Tisch. Und dann sagte sie: »Gerade hat uns eine Sondermeldung der Regierung im Auftrag der Europäischen Zentralbank erreicht‚ sie trägt folgende Überschrift: »Es is‚ wie es is«. Nun zum Wortlaut: »Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen und alle‚ die es werden wollten! Die Regierung hat sich mit den Banken geeinigt. Sie können ab 20.15 Uhr Ortszeit mit ihren Euroscheinen Ihre Wohnzimmer tapezieren. Auf Tapetenleim gibt es im Baumarkt 20 % Rabatt. Die Gutscheine hierfür gibt es im Einwohnermeldeamt. Jede Kommune kann heute ihr eigenes Geld drucken‚ soviel sie will. Die schönsten Geldscheine werden vom Bundespräsidenten prämiert. Mehr Selbstverantwortung heißt auch mehr Freiheit. Wie das Bundesinnenministerium mitteilte‚ gab es heute in einigen Städten Rabatz‚ was aber keinen Zweck hat‚ die Kohle ist Futsch und auch der Yen ist futschikato. Gute Nacht!
Dann folgte der Wetterbericht. Ein Monstersturm namens Katrin wurde angekündigt‚ früher hieß so was Katrina. Aber auch im Wetterstudio mußte man sparen. Um das arme Porzellanschwein mit dem schönen Dekor ist es wirklich schade. Ich habe es sehr gemocht und mag es noch immer. Deshalb hatte ich ihm einen Brief geschrieben. Die von Gutmenschen angezettelte Kampagne mit der Losung »Rettet das Schwein!« habe ich vorausgesehen. Seit Jahren wird meine Post vom Staatschutz inspiziert. In diesem Land kann man inzwischen nicht einmal mehr sein eigenes Sparschwein zerkloppen‚ jedenfalls nicht im Frühling‚ im Sommer‚ im Herbst und im Winter. Ich mache es trotzdem‚ im Herbst‚ vor den Ferien‚ am Morgen eines sonnigen Tages.
Auf der anderen Seite: Das Schwein ist inzwischen wertvoller als sein Inhalt‚ bei dem wenigen Metall‚ das in ihm steckt. An jedem neuen Tag sollte man diesen einen Satz dreimal laut vor sich hin sagen: »Ich lerne dazu! Ich lerne dazu! Ich lerne dazu!« Nützen wird dies freilich jetzt nichts mehr‚ aber in diesem Falle wenigstens dem Schwein und seinem Heil. Ich bin mir sicher: Es zwinkert mir zu. Und als Demokrat beuge ich mich der Mehrheit. Ich wollte noch nie ein Märtyrer werden.

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