Die Tage der kleinen Göttin
(Gisela Rein)

Ich las dieses Buch soeben zum zweiten Mal‚ und zwar mit dem gleichen Genuß und noch mehr Anteilnahme als vor einigen Jahren‚ als wir es vom Autor selbst bekommen hatten. Ich möchte dasselbe bemerken wie nach der Erstlektüre: Dieses Buch ist eines der besten‚ das ich je gelesen habe!
Und es waren sehr viele Bücher‚ klassische wie moderne‚ in meinem siebzigjährigen Leben. Thomas Perlick‚ von Beruf Pfarrer‚ von der Berufung ein exzellenter Schriftsteller‚ schreibt wunderbar dicht und bildhaft. Da ist kein Wort unüberlegt‚ unpassend oder überflüssig. Am bemerkenswertesten ist die Fabel selbst: Er beschreibt den Tod der eigenen Mutter aus der Sicht des soeben geborenen Kindes. Realisten werden bemerken‚ daß dies eigentlich nicht möglich ist‚ höchstens können ihm Vater und Geschwister davon berichtet haben. Was wissen wir aber wirklich von den Wahrnehmungen eines Säuglings? Hier werden sie jedenfalls sehr glaubhaft geschildert‚ von einem Sohn‚ der seine früh und jung gestorbene Mutter wie eine ‚kleine Göttin’ liebt und verehrt‚ über eine Frau‚ die das in hohem Maße wert ist. Liebevoll und bildhaft wird auch die Pfarrersfamilie geschildert‚ in die der Kleine hineingeboren wurde‚ ebenso die helfenden Verwandten und Nachbarn und beeindruckend die Berufskollegen des Vaters‚ die in einer regelrechten Revolte gegen einen wohl aus der Nazizeit übriggebliebenen Superintendenten den leidgeprüften Familienvater verteidigen. Nur das Ende der Geschichte befriedigt nicht ganz: Die Mutter ist beerdigt und der Vater verschwindet im Wald. Was wird aus den Kindern? Man kann nur hoffen‚ daß sie von den schlichten Helden des Buches nicht im Stich gelassen wurden. Auch das Gesellschaftliche kommt etwas zu kurz. Der Junge wird 1957 in der DDR geboren‚ in einer Zeit‚ als ich erleben mußte‚ daß meine zur gleichen Zeit geborenen Kinder bald mit der Staatsmacht in Konflikt gerieten‚ weil sie selbständig denken und handeln wollten‚ wofür sie erzogen worden waren. Den jungen Perlick wird wohl die dörfliche Idylle‚ »an allerlei Orten«‚ in der er aufwuchs‚ vor dergleichen bewahrt haben. Lobend zu erwähnen ist die gute Gestaltung‚ Druck und Bindung des Buchs vom Salier-Verlag.
Ebenfalls von mir gelesen und zu empfehlen sind Thomas Perlicks Bücher »Herr Weidenfels auf Reisen« und das im Espero-Verlag herausgegebene Kinderbuch »Herr Pauli redet lieber mit Tieren«‚ letzteres ein spannender Kinderkrimi mit lautmalerischen Tierstimmen und gesellschaftlichem Hintergrund sowie bezaubernden Illustrationen von Franziska Leonhard.

Perlick‚ Thomas: Die Tage der kleinen Göttin. 3. Aufl. 2010. 127 S. ISBN 978-3-939611-63-9 Salier Verlag Gb. 12‚90 €

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