Kreatives Schreiben
(Gisela Rein)

Das Literaturbüro Erfurt hatte am 30. Januar 1999 zu einem Tagesseminar über »Kreatives Schreiben« in das Haus Dacheröden eingeladen. Mein Freund Claus Irmscher und ich gingen hin‚ weil unsere Vizechefin vom FDA‚ Silke Dokter‚ meinte‚ es wäre wichtig.
Wir hatten zwar bisher gedacht‚ daß Schreiben immer kreativ sei‚ sofern es sich nicht um das Verwaltungsdeutsch von Strafzetteln handelt‚ das man uns gerade auf der Straße schwarz auf weiß beizubringen versucht hatte‚ »wegen unerlaubtem Parken im eingeschränkten Zonenrandgebiet«‚ doch hierbei müsse es sich vermutlich um etwas viel Kreativeres handeln.
Erwartungsvoll entrichteten wir‚ ohne zu murren‚ fünfzig Mark Beitrag für beide‚ die wir zuvor bei meiner Lesung im Café Paul als Honorar bekommen hatten. Weder auf den Einladungen noch auf der Quittung der Fachhochschule Erfurt waren unsere Namen vermerkt. Im zunächst vollen Festsaal saßen in der Mehrzahl Pädagogen‚ Kulturschaffende und Mitglieder von Schreibwerkstätten‚ in der Minderzahl Schriftsteller.
Ein Professor Dr. Fritsche von der Uni Halle erläuterte undeutlich‚ weil ohne Mikrofon‚ was er unter dem Begriff mit dem aus Amerika importierten Gegensatz zu Schulpflichtveranstaltungen verstand.
Danach bestätigte ein Professor Dr. Kruse von der Fachhochschule der Stadt seinen Vorredner eine Dreiviertel-stunde lang in einigen Punkten‚ während er ihn in anderen Punkten widerlegte‚ beides sehr fundiert. Ein Blatt‚ das ihm vor dem Ende fehlte‚ bezeichnete der Moderator Frank Hiddemann kühn als »glücklichen Zufall«. Was »kreatives Schreiben« eigentlich ist‚ war uns bis dahin noch immer nicht klar. Wir begriffen nur so viel‚ daß das‚ was hier damit gemeint war‚ mit dem‚ was wir betreiben‚ wenig zu tun hatte und fühlten uns leicht überflüssig.
Das opulente Mittagsmahl‚ das im Preis inbegriffen war‚ erwies sich als angebrannte‚ stark mit Senf gewürzte Gulaschsuppe mit Brötchen. Die Eintrittsgelder wurden sicher hauptsächlich für die Professorenhonorare gebraucht.
Unter denen‚ die ihre »kreativen Schreibschulen oder -labore« vorstellten‚ – »Das hieß früher Zirkelschreiben bei uns«‚ erläuterte Matthias Biskupek‚ der diesen Teil moderierte‚ – empfand ich den Beitrag der Journalistin Annerose Kirchner‚ die zur gleichen Zeit wie Claus Irmscher am Literaturinstitut in Leipzig studiert hatte‚ als besonders angenehm. Ebenso erging es mir mit dem Beitrag von Hubert Schirnek aus Regensburg‚ der das Titelthema mit einem »weißen Schimmel« gleichsetzte‚ was wir nachempfanden. Alle‚ die sprachen‚ taten in etwa das‚ was Claus Irmscher‚ Siegfried Nucke und andere zu DDR-Zeiten auch schon getan hatten‚ natürlich nicht ganz so »kreativ«.
Danach sprach ich im Auftrag unserer Freundin Ute Hinkeldein über das von ihr seit anderthalb Jahren geleitete »Lese-Café Paul«. In der Aufregung passierte mir ein Zahlendreher‚ aber die Zuhörer rechneten stumm schmunzelnd im Kopf aus‚ daß es sich beim Gründungsjahr nicht um 1979 gehandelt haben konnte.
Claus Irmscher stellte den von uns beiden gegründeten »Literarischen Salon« des FDA im alten Gasthof »Zur Pfauen« mit einem konkreten Termin vor‚ ohne daß er eine Reaktion erzielte‚ weshalb er leicht verstimmt war.
Der Höhepunkt des Nachmittags war die Autorenlesung. Gut gefiel mir das Werk der unter Harald Schleuters Regie arbeitenden ältesten Teilnehmerin‚ deren Name mir leider entfallen ist‚ deren Vers über schlaflose Nächte mir aber nicht aus dem Kopf geht:
»Ich tanze mit dem Klappermann bis früh um vier.
Ich gehe nicht mit ihm‚ ich bleibe hier!«
Eine brauchbare Geschichte von Renate Tietze aus der Schreibschule von Eva-Maria Stein ignorierte ich‚ seitdem diese Person versucht hatte‚ mir die Lesung aus meinem Buch »Falkenflug« in der Peterknecht-Buchhandlung mit der Bemerkung kaputt zu machen‚ was ich über die Warenversorgung im Honeckerstaat geschrieben habe‚ sei gelogen. Ein siebzehnjähriges Musenkind zeigte im Anschluß immerhin viel Phantasie. Was aber dann aus dem Munde einer attraktiven Siebenundzwanzigjährigen kam‚ ließ mir fast die angebrannte Gulaschsuppe wieder nach oben herauskommen: Der Held ihrer Geschichte war ein alter Mann‚ der im Krankenhaus auf dem Klo saß und den Vorgang der Entleerung umgekehrt praktizierte. Sinn sah ich keinen in dieser Story‚ sie war eher – Verzeihung! – zum Kotzen. Ich schaute verzweifelt den wegen Aufmüpfigkeit geexten »Eulenspiegel«-Autor Rudolf Pöhlig an‚ der neben mir saß. Der knurrte nur wütend: »Scheißgeschichte!« Die FDA-Autorin Dagmar Maier war über ihre Bekannte vollkommen baff und konnte sich die Fäkaliensprache nur mit dem schlechten Einfluß von deren Liebhaber erklären.
Gerade‚ als wir Verbandsmitglieder schon mit den Füßen abstimmen wollten‚ trat ein junger Mann auf‚ der aussah wie Rasputin. Seine Rede kam zwar etwas schwer verständlich hinter dem dicken Bart hervor‚ aber wenigstens er bewies Humor. Als Fazit der neuen Poetenseminare deklamierte er am Schluß:
»Wir füllen Sofas und weißes Papier.
Saufen kann jeder‚ doch Poeten sind wir!«
Dann sind wir gegangen. Die Auswertung haben wir uns geschenkt. Wir waren zur Meinung gelangt‚ daß man »kreatives Schreiben« eher nicht als Pflichtfach an Oberschulen einführen sollte. Wenn in Zukunft für uns ältere Autoren ein paar Fördermittel abfallen würden‚ um die horrenden Druckkostenzuschüsse zu bezahlen‚ wären wir durchaus bereit‚ dafür einige Nachwuchsautoren anzuleiten‚ ob »kreativ« oder wie immer man das bezeichnet. Schreiben allein reicht eigentlich‚ aber nur‚ wenn man es kann.
Um diese Erkenntnis zu gewinnen‚ haben wir sieben Stunden unserer wertvollen Zeit vertan‚ die wir besser zum Schreiben hätten nutzen können. – Einmal und nicht wieder!

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