Idäisches Licht
(Hansjörg Rothe)

Elisabeth Butler‚ Professorin für Deutsche Literatur im Oxford der 1930er Jahre‚ war offenbar not amused über die »Besessenheit der Deutschen mit den Griechen«. Sie schreibt: »Eines ist jedenfalls klar: nur ein Volk das tief im Innersten tragisch unzufrieden ist mit sich selbst konnte diesen grimmigen Kampf mit einem ausländischen Ideal so lange ausfechten. Dem angelsächsischen Geist scheint das pure Verschwendung‚ bedauernswert und fast schon pervers‚ dass die Schönheit der griechischen Kunst und Poesie zu so viel rasendem Schmerz und so wenig reinem Vergnügen führen sollte.«
Nun also wieder deutsche Gedichte im Lichte des Berges Ida‚ des Logenplatzes der homerischen Götter für deren amüsierte Betrachtung des Kriegs um Troja und anderer vergeblicher Bemühungen der Menschen. Dass beim Lesen auch dieser dritten‚ erweiterten Auflage das reine Vergnügen den rasenden Schmerz bei weitem überwog‚ soll gleich vorab klargestellt werden. Dennoch ist das Buch nicht unpolitisch‚ kann es nicht sein bei dieser Vorgeschichte seit Winckelmann‚ Hölderlin und Nietzsche.
In »Androgeos« formuliert Uwe Lammla recht unbescheiden sein Anliegen‚ jedenfalls ist auch das wieder nichts für den pragmatisch-empirischen Sinn der Empire-Errichter :
»Denn was den Dichter zum ewigen Hymnus begeistert‚
Ist nur die Schönheit‚ die dumpfester Niedertracht fällt‚
Wo vor Verbrechen die Sonne sich dunkeln mag‚ meistert
Er das idäische Licht und errettet die Welt.«
Der angelsächsische Geist‚ seit Butlers Zeiten nunmehr zum Weltgeist avanciert‚ wird denn auch in dem meisterhaften Gedicht »Ravensburg« schonungslos beleuchtet. Was der Türmer in Ost und West‚ in Süd und Nord sieht‚ müsste - in ähnlich kondensierter Form‚ aber nüchterner Prosa berichtet - den Schmerz in der Tat rasend machen‚ nur die poetische Sprache lindert die Botschaft zum Erträglichen. Wie »das Gewürm« im Entheiligten frech nach »Steinöl und Pech … gräbt«‚ wird ungeschminkt dargestellt. Dass der Dichter keine Handlungsanweisung mitliefert‚ versteht sich dabei von selbst‚ doch im »Herbstbann«‚ dem Eingangsgedicht‚ wird ein Programm verkündet: spricht er nur »heiter und genau«‚ wird der Dichter »ein Reich verwalten«‚ und sollte es auch scheinen dass er nur Korn verstreut für »die Raben und die Narren«. Auf der »Kräheninsel« ist er endlich zur Ruhe gekommen‚ im Herzen fest und »藞m Land zutiefst verwandt«. In Wahrheit ist es doch eine »Frohe Insel«‚ denn wer vermag schon die Ritter und die Verfemten so bestimmt auseinanderzuhalten.
Auch »Ravensburg« steht im Anfangsteil der dritten Auflage des »Idäischen Lichts«‚ der unter dem Titel »Traum von Atlantis« 47 Gedichte versammelt. Für alle‚ die sich aus unserer heutigen Lage etwa nach der Zeit zurücksehnen‚ als der Weltgeist noch Napoleon Bonaparte hieß und hoch zu Ross in Jena einreitend bestaunt werden konnte‚ steht Hölderlin als Gewährsmann am Anfang dieses ersten Abschnitts‚ der in früheren Auflagen ein eigenes Buch gewesen war: »Und immer ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Vieles aber ist zu behalten. Und not die Treue.« Im Grunde hat sich ja nichts geändert.
Die folgenden zwei Abschnitte zu 28 und 29 Gedichten bilden zwei Bücher‚ das Titelgedicht »Idäisches Licht« schliesst das erste Buch ab:
»Aber drunter gleißt‚
ob sein Kult auch sank‚
bis die Welt vergeh
Ehern weiß das Licht‚
Ragt von Dunst umkreist‚
Zeus zu Lob und Dank
Kreta aus der See‚
Stolz der Lehenspflicht.«
Das zweite Buch behandelt unter anderem den Weinstock‚ viele verschiedene Bäume und andere Pflanzen. Diese sind ja so ewig wie das Licht selbst und auf uns Menschen nicht angewiesen. Rosmarin‚ Diptamdost‚ Oregano‚ Wunderbaum‚ Oleander‚ Tamariske‚ Olivenbaum‚ Johannisbrotbaum‚ Zypresse und Steineiche wachsen und gedeihen heute am Mittelmeer wie zu Zeiten des Aischylos – besungen in deutschen Gedichten. »Das Licht ist griechisch und das Sehnen deutsch«‚ aber gehören nicht beide Seiten seit jeher und für immer zum Menschengeschlecht? Wuchsen doch schattenspendende Bäume schon den ersten Menschen‚ und einer von ihnen dichtete tausend Jahre vor Aischylos in Ägypten‚ jenseits der Meerenge die Kreta vom Festland trennt: »Wenn der Wind kommt‚ will er zur Sykomore‚ wenn du kommst‚ willst du …«

Lammla‚ Uwe: Idäisches Licht. Gedichte. 2014. 255 S. ISBN 978-3-926370-63-1 Arnshaugk Kt. 16‚– €

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