Die Tanten des Adjutanten
(Jurek Haslhofer)

Wilhelm Castun (C): Herr Jurek Haslhofer‚ Ihr Name ist doch eigentlich eine hübsche altösterreichische Melange?
Jurek Haselhofer (H): Nun‚ genauer slowakisch-oberösterreichisch… Weiß nicht‚ ob das so spezifisch altösterreichisch ist…
C: Jedenfalls könnte man argumentieren‚ jemand mit einem solchen Namen dürfe eigentlich nicht gegen Migration und Multikulti sein.
H: So ähnlich wird bekanntlich recht häufig argumentiert‚ und es ist der größte Schwachsinn überhaupt.
C: Weil innereuropäische Migration nicht mit der gegenwärtigen islamischen Einwanderung zu vergleichen ist?
H: Oder sagen wir noch präziser‚ weil die bloße Islamkritik zu kurz greift: nicht mit der gegenwärtigen Landnahme durch Nichteuropäer zu vergleichen. Und zwar überhaupt nicht. Es ist eine mehr oder weniger natürliche Angelegenheit‚ wenn beispielsweise die junge Intelligenz der mittel- und südosteuropäischen Länder nach Wien strebt‚ das sie als Art Hauptstadt ansieht. Ganz anders ist zu beurteilen‚ wenn wir Europäer durch nichteuropäide Invasoren aus unserem Lebensraum systematisch verdrängt werden.
C: Womit wir sozusagen mitten in Ihrem Roman wären.
H: Wenn Sie meinen…
C: Nun‚ Ihr Zorn über die gegenwärtige Einwanderungspolitik geht eigentlich aus jeder Seite hervor…
H: Mein Roman wurde vor 2015 konzipiert…
C … was nicht viel ändert‚ denn für einen Intellektuellen wie Sie wird die fatale Entwicklung bereits vor 2015 evident gewesen sein.
H: Eigentlich ist die Einwanderung gar nicht so mein großes Thema.
C: Klar‚ Sie hängen das nicht so an die große Glocke‚ dazu sind Sie auch zuviel Dichter oder Philosoph‚ aber hinter allem gibt eben eine unterschwellige Tendenz. Nicht zuletzt reden einige Ihrer Helden in etlichen Internetdiskussionen über nichts anderes.
H: Nun‚ dieser Internetkram ist aber sicher nicht das Gelbe vom Ei.
C: Zumal die Vorbilder‚ Michael Mannheimer und Politically Incorrect‚ durchaus evident erscheinen. Handelt es sich bei Ihren Darstellungen eigentlich um Karikatur?
H: Weiß ich selber nicht so genau. Meine Gefühle gegenüber diesen Internetblogs sind einigermaßen ambivalent.
C: Inwiefern?
H: Einerseits geht mir diese Naivität gelinde gesagt auf den Wecker. Andererseits darf man die Reichweite speziell von PI nicht unterschätzen. Gibt es ein vergleichbares einwanderungskritisches Medium? Jeder‚ der sich als mittlerweile aufgewacht bezeichnet‚ hat irgendwann mit dem Mitlesen bei PI angefangen.
C: Kommen wir auf Ihren Roman zurück. Was würden Sie als denn sein großes Thema bezeichnen?
H: Wahrscheinlich nichts Außergewöhnliches‚ nichts eigentlich Neues… Das Verhältnis zwischen Einzelnem und Staat bzw Gesellschaft‚ wobei Staat und Gesellschaft derart hoffnungslos kaputt erscheinen‚ sodaß sich für den Einzelnen eine Reihe von Fragen bishin zum Sinn der eigenen Existenz stellt.
C: Klingt jetzt wirklich nicht sehr aufregend. Nicht böse sein‚ wenn ich Ihnen da widerspreche – aber Ihr Roman ist unendlich spannender als dieses abgeschmackte Thema.
H: Tschuldigung‚ daß ich das als unmittelbar Betroffener gar nicht so abgeschmackt finden kann. Schließlich handelt es sich um mein eigenes Leben.
C: Sie meinen‚ weil Sie der Justiz eines hoffnungslos kaputten Staates angehören? Wie geht man damit um‚ was macht man in so einer Situation?
H: Kurz gesagt‚ einen schlechten Eindruck! So wie einer der Protagonisten meiner Geschichte‚ der Staatsanwalt Franz Lechner.
C: Aber an und für sich ist der Verweis auf Ihr Leben in diesem Zusammenhang kein taugliches Argument. Nicht jedermanns Leben ist es wert‚ literarisch verarbeitet zu werden.
H: Meines schon. Zumindest für mich.
C: Offenbar auch für mich und für den Verleger. Wir wollen daher uns mit der Frage befassen‚ woran das liegt. Ganz sicher aber nicht an Ihrem oben formulierten Thema!
H: Vielleicht jedoch daran‚ daß ich bei der Befunderstellung über unsere heutigen Probleme nicht allein auf der Einwanderungsfrage herumreite.
C: Nun‚ Ihre Gesellschaftskritik ist natürlich sehr weit und umfassend. Aber letztlich kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren‚ daß es Ihnen um die abendländische‚ mitteleuropäische‚ deutsche‚ österreichische Welt geht‚ die Sie in erster Linie durch die Einwanderungspolitik als gefährdet erachten‚ dies nebenbei bemerkt natürlich zurecht.
H: Gestatten Sie‚ daß ich Ihnen an dieser Stelle widerspreche. Gerade‚ was die Gefährdung unserer Kultur‚ unserer selbst etc betrifft‚ sehe ich die momentane Einwanderungspolitik sogar als gewisse Chance. Denn schließlich ist diese so destruktiv‚ daß sie sich auch gegen sich selbst und darüber hinaus gegen alles wendet‚ das uns kaputt macht.
C: Aber ganz wohl ist Ihnen bei einem derartigen Gedanken nicht‚ oder?
H: Wie kann einem in diesem Zusammenhang »wohl sein«? Aber Schmähohne‚ wie bei uns gesagt wird: Gerade die Ereignisse ab 2015 haben doch etwas sehr Segensreiches an sich‚ indem sie uns endgültig die Augen öffnen‚ wohin gewisse Entwicklungen‚ die wir bis dato nicht in ihrer völligen Schändlichkeit und Destruktivität wahrnehmen konnten‚ schlußendlich führen werden. Diese Ambivalenz des Schlechten und Bösen ist in der Tat eines der großen Themen meines Romans.
C: Das klingt aber jetzt mehr nach Pamphlet als nach Belletristik. Was übrigens auf Ihren Roman keineswegs zutrifft.
H: Da haben Sie schon recht. Dieser Gefahr war ich mir beim Schreiben überaus bewußt. Ich hasse Romane‚ die unter der Tünche irgendeines G’schichterls den Leser mit politischen oder gesellschaftlichen Abhandlungen überhäufen. Mir ist es letztlich draufangekommen‚ diese Fragen konkret in die Handlung einfließen zu lassen. Was die Frage nach dem »Wie« betrifft‚ so will ich hier und jetzt nicht mehr verraten.
C: Das ist natürlich zu respektieren. Kommen wir deshalb auf Ihre These zurück‚ wonach der refugees-welcome-Hype etwas Positives an sich hätte. Sie meinen offensichtlich damit‚ daß wir auch früher schon auf bestem Wege in den Orkus waren. Zweifellos trifft dies zu‚ allein‚ worin soll der Nutzen liegen‚ daß sich eine destruktive Bewegung derartig beschleunigt?
H: Immerhin hab ich dadurch viel gelernt‚ nämlich was die Einschätzung von Staat und Gesellschaft betrifft. Man kann sagen‚ daß jetzt das Tischtuch zwischen uns endgültig zerschnitten ist.
C: Was ist dran positiv?
H: Erkenntnisgewinn vielleicht? Daß man einen Feind als solchen erkennt‚ ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
C: Was aber‚ wenn man gegen diesen Feind nichts unternehmen kann?
H: Ganz so ist es wieder auch nicht. Ich für meinen Teil schreibe Ronane.
C: Glauben Sie‚ daß Sie damit viele Menschen überzeugen können?
H: Da haben Sie schon recht. Diese Antwort war oberflächlich‚ sie lag sozusagen zu sehr auf der Hand. Als Romanautor kann und darf man keine politische Bildungsarbeit leisten‚ vor allem keine Botschaften verkünden.
C: Das sehen manche anders.
H: Soll ein jeder machen wie er will. Ich halte nichts davon.
C: Aber an politischem Diskurs mangelt es in Ihrem Roman wahrlich nicht.
H: Das liegt schon am Hauptsujet. Ein sozialdemokratischer Chefideologe ist ermordet worden…
C: … ist auf rätselhafte Art und Weise ums Leben gekommen.
H: Tschuldigung‚ natürlich. Jedenfalls geht die Staatsanwaltschaft von Mord aus und vermutet ein politisches Motiv. So gesehen ist es unvermeidlich‚ daß es um große Politik geht.
C: Und vor allem um Migrationspolitik‚ da der ermordete…
H: .. ums Leben gekommene…
C: Richtig‚ jetzt hat es mich erwischt… also daß dieser tote Politiker gelinde gesagt sehr für offene Grenzen eingetreten ist.
H: Ja‚ daher sind solche Themen unvermeidlich. Aber deshalb sind sie noch lang nicht das allerwichtigste‚ zumal der Mord… äh Todesfall bald aus dem Focus des Erzählers verschwindet. Ganz abgesehen davon‚ daß dieser Ich-Erzähler keine eindeutige Stellung zu politischen Frage bezieht.
C: Das ist mir auch schon aufgefallen. Eine eindeutige Linie bei ihm ist nicht leicht auszumachen. Manchmal gibt er sich objektiv‚ manchmal übernimmt er sogar recht unkritisch das Vokabular des Mainstreams wie etwa »Rechtspopulisten« in Bezug auf die FPÖ‚ um ein besonders bedenkliches Beispiel zu wählen.
H: Man merkt halt mitunter‚ daß er als bildender Künstler der linken Reichshälfte entstammt.
C: Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren‚ daß dies auch auf Sie zutrifft.
H: Ja und nein. Also eher ja. Ich hab mich früher schon als Linker gefühlt‚ muß ich irgendwie zugeben. Ich bin sogar immer noch SPÖ-Mitglied.
C: Hab ich’s mir doch gedacht! Der Ministerialrat Preinerstorffer ist Ihr alter ego.
H: (lacht) Nein‚ das muß ich ganz entschieden zurückweisen.
C: Ein regelrechter Ungustl‚ wie man bei Ihnen in Wien sagt. Oder‚ wie es im Roman heißt‚ eine Kanaille ersten Ranges…
H: Aber‚ aber‚ das ist denn doch zu hart…
C: Schreibt der Ich-Erzähler.
H: Was Sie‚ wenn Sie den Roman aufmerksam gelesen haben‚ unbedingt kritisch hinterfragen sollten…
C: Sie meinen‚ weil der Ministerialrat kräftig mitgewirkt‚ mitgeschrieben hat?
H: Genau. Gerade die Stellen‚ die den Ministerialrat betreffen‚ dürften von diesem selbst stammen‚ überhaupt‚ wenn sie derartig negativ ausfallen. Schließlich heißt es doch irgendwo sinngemäß‚ daß der Ministerialrat mit seiner eigenen Verkommenheit kokettiert. Daß der farblose Ich-Erzähler eine derart beleidigende Ausdrucksweise gewählt hätte‚ erscheint mir mehr als unwahrscheinlich.
C: Für unsere Leser: Der Ministerialrat Doktor Waldemar Preinerstorffer‚ ranghoher Angehöriger des österreichischen Justizressorts‚ kann nicht gerade als Ausbund politischer und sonstiger Korrektheit angesehen werden. Nicht nur‚ daß er die Grenzen des Taktes und guten Geschmacks mit einer wahren bacchantischen Freude zu überschreiten oder gar zu verletzen liebt – so darf sich keine hinreichend junge und attraktive Kollegin vor seinen derben Anzüglichkeiten sicher wähnen – ist er vor allem nach seinem Bruch mit der Sozialdemokratie‚ der er »Konspiration mit dem Neoliberalismus‚ Verrat an nahezu allen sozialistischen Idealen sowie an Volk und Land‚ eine völlig verantwortungslose Migrationspolitik« und eine Reihe anderer unschöner Dinge vorwirft‚ zum offenen Sympathisanten mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs geworden.
H: Daneben ist er überaus eifriger Marienverehrer‚ dessen eigenwillige Strenge der Glaubensausübung für jeden‚ der ihn und seinen Lebenswandel näher kennt‚ als bereits grotesker Ausfluß von Heuchelei angesehen werden muß.
C: Und so jemand ist Ihnen sympathisch?
H: Hab ich das gesagt?
C: Nun‚ Sie haben den Ministerialrat gegen den Vorwurf‚ eine Kanaille zu sein in Schutz genommen…
H: Na‚ ja… Irgendwie mag ich den alten Mann‚ das ist schon richtig.
C: Und gibt es außer der Ressort- und Parteizugehörigkeit und offenbar auch der wahren politischen Gesinnung sonstige Parallelitäten zwischen Preinerstorffer und Ihnen? Etwa was das Verhalten gegenüber Frauen betrifft? Oder ist das jetzt zu indiskret?
H: Schon etwas indiskret. Wo ich doch überdies ein eher schüchterner Typ bin.
C: Kein Tony Woodcock-oder Drnholeckı-Typ?
H: Ganz und gar nicht. Leider‚ oder gottseidank‚ je nachdem‚ wie man ’s nimmt.
C: Die beiden Letztgenannten sind ziemliche Wüstlinge‚ vor allem was den Umgang mit »linken Frauen« betrifft‚ eine Episode übrigens‚ die Feministinnen auf die Palme bringen würde.
H: Was‚ wie ich fürchte‚ kaum der Fall sein wird. Leider sind Feministinnen wie die Linken im Allgemeinen nicht besonders aufgeschlossen gegenüber Literatur‚ die nicht ihre eigenen Anliegen vertritt.
C: Bleiben wir bei Ihnen und dem Ministerialrat. Sind Sie gläubig?
H: Ich? Na ja‚ man bemüht sich…
C: Was soll das heißen: Man bemüht sich? Sind Sie’s oder sind Sie’s nicht?
H: Na ja‚ irgendwie bin ich’ s schon‚ ich meine… diese Frage wird man erst in gewissen Stunden beantworten können‚ in denen sich mein Glaube bewähren wird müssen‚ und denen ich ehrlich gesagt nicht entgegenfiebere…
C: Also doch gläubig!
H: Sie fragen mich da schon Sachen! Glaube ist schließlich und endlich eine Tugend. Nächstens fragen Sie mich‚ ob ich ein guter Mensch bin.
C: Jedenfalls kein Gutmensch…
H: Oder vielleicht‚ ob ich intelligent bin. Oder sympathisch!
C: Ihnen sympathisch?
H: Nein‚ ganz allgemein‚ anderen Menschen sympathisch!
C: Und‚ halten Sie sich für einen sympathischen Menschen? Nein‚ Entschuldigung‚ diese Frage ist wirklich zu albern!
H: Sie meinen‚ weil kein Mensch drauf ja sagen könnte? Nun da irren Sie sich aber gewaltig. Eine österreichische Ministerin hat völlig im Ernst gesagt‚ sie finde sich selbst sehr wohl sympathisch.
C: Nun ja‚ eine Politikerin…
H: Eine Frauenministerin‚ also Feministin.
C: Da braucht man sich über nichts zu wundern… Aber wir kommen immer wieder vom Thema ab‚ was wohl auch an Ihrem Hang zu eher ausweichenden Antworten liegen mag. »Schändlichkeit und Destruktivität« haben Sie vorhin gesagt. Des Systems‚ der Gesellschaft‚ des Staates‚ was auch immer. Das ist doch eigentlich ein recht alter Hut. Für uns in der Bundesrepublik zumindest.
H: Ich nehm für mich da keine besondere Originalität in Anspruch. Kurtagic hat das aus Sicht eines Außenstehenden gesehen‚ der immer tiefer damit konfrontiert wird. Imgrunde hat es auch Kafka schon ähnlich dargestellt‚ nur verschlüsselter beziehungsweise abstrakter‚ sodaß kein konkreter Bezug zu einer konkreten Wirklichkeit erkennbar war. Vielleicht hatte er eine prophetische Gabe für die heutigen Verhältnisse‚ die Kafkas Welt näher als jene der nominellen Diktaturen des vorigen Jahrhunderts erscheinen. Jedenfalls hat Kurtagic einige kafkasche Techniken aufgenommen‚ vor allem in der Verhörszene.
C: Wir wollen aber über Ihr Buch reden…
H: Bei mir wird nicht die Sicht eines Außenstehenden‚ einer Prozeßpartei‚ eines Angeklagten oder Verfolgten wiedergegeben‚ sondern die eines innerhalb des Behördenapparates Stehenden…
C: … was bei Kriminalromanen ja üblich wäre…
H: Ja‚ aber nur soweit es Beamte‚ Polizisten‚ Richter‚ Staatsanwälte betrifft‚ die sich mit dem System identifizieren. Meine Helden‚ mit oder ohne Anführungsstriche‚ tun dies keineswegs bzw in höchst unterschiedlichem Maße. Günstigstenfalls sind sie so zerrissen wie der arme Staatsanwalt Lechner‚ der unter dem Zwiespalt von Pflicht und tiefere Einsicht zerrissen zu werden droht.
C: Der Oberstaatsanwalt Leopold Drnholeckı tut sich da leichter…
H: Ja‚ der hat eine klare Linie gefunden.
C: Zur Information des Lesers: dieser Wiener Oberstaatsanwalt ist nicht bloß innerlich längst zum Staatsfeind mutiert. Daß er in seinem Bestreben‚ das ihm verhaßte »kapitalistische Wirtschaftssystem« nachhaltig zu erschüttern‚ auch vor höchst kriminellen Komplotten und Handlungen nicht zurückschreckt‚ wird ihm seitens des offensichtlich völlig paralysierten Staatsapparates anscheinend nicht weiter übelgenommen. Eine für den Autor typische Ironie liegt darin‚ daß er erst in beträchtliche Schwierigkeiten gerät‚ als er auf einer rechtspopulistischen Internetplattform migrantenfeindliche Kommentare postet.
Ist er ein alter ego des Autors?
H: Nein‚ ganz und gar nicht. Er ist viel eher eine Witzfigur‚ die dadurch entsteht‚ daß man gewisse Gedanken oder auch Idealvorstellungen konsequent zu Ende denkt. Jede Sache wird bei wirklich konsequenter Betreibung‚ was letztlich zur Übersteigerung führt‚ lächerlich.
C: Drnhoelckı und lächerlich? Niemand äußert so viele Tiefsinnigkeiten wie er!
H: Tiefsinn und Lächerlichkeit liegen oft so nahe beisammen wie Genie und Wahnsinn. Überhaupt bei uns in Wien. Der Wurstelprater hat seine Bezeichnung nicht von den dort angebotenen Wiener Würstchen (die bei uns überdies »Frankfurter« heißen)‚ sondern vom Wurstel‚ sprich Wurschtel‚ denn niemand »derschlagen« kann‚ und der am Schluß über alles‚ über alle Mächtigen‚ über Tod und Teufel triumphiert‚ was sich im Tarockspiel in der Karte des Sküs‚ sprich Gschtieß manifestiert‚ dem höchsten aller Trümpfe‚ der als Kasperl oder Harlekin dargestellt ist.
C: Das Tarockspiel wird sogar im Roman erwähnt. Angeblich soll der Ministerialrat Preinerstorffer seinen vormaligen Freund Drnholeckı im Tarockspiel um alles‚ um Haus und sogar Frau gebracht haben…
H: Ja‚ dieses Gerücht klingt kurz an‚ wird aber zurecht als unglaubwürdig abgetan… Letztlich ist das eine andere‚ eine eigene Geschichte‚ die hier nichts zu suchen hat.
C: Sind die »Tanten« denn eine Art Fortsetzung eines anderen Romans?
H: Keinesfalls‚ vielmehr ein völlig eigenständiges Werk. Allerdings trifft es zu‚ daß Figuren wie Drnholeckı‚ Preinerstorffer und Lechner (anders als der Ich-Erzähler und Tony Woodcock) nicht für diesen Roman erfunden worden‚ sondern schon früher dagewesen sind. Das führt zu einer gewissen formalen Problemstellung‚ die zu lösen mir recht harte Arbeit abverlangt hat. Man kann einfach nicht einen Oberstaatsanwalt in den Raum stellen und von diesem behaupten‚ daß er in Wahrheit Anarchist oder jedenfalls aktiver Feind seines Staates ist. Man muß ihn‚ sein Wesen‚ seine Anschauung legitimieren beziehungsweise es halbwegs plausibel darstellen‚ wie so ein Mann ausgerechnet Oberstaatsanwalt werden konnte. Andererseits soll unsere Geschichte ja wieder nicht einen solchen Werdegang zu sehr in den Vordergrund rücken. Man muß also diese Vorgeschichte mit unserer eigentlichen Handlung verbinden‚ verknüpfen‚ zu einem formal und inhaltlich sinnvollen Ganzen zusammenfügen. Das trifft auch auf Tony Woodcock zu‚ einen australischen Lebenskünstler mit einer Vorliebe für die historische deutsche‚ vorzugsweise barocke Baukunst‚ der sein Ziel‚ im Krieg zerstörte Bauwerke wiederzuerrichten‚ mit nicht minder kriminellen Mitteln verfolgt.
C: Hat es für Tony ein konkretes Vorbild gegeben?
H: Nein. Während aber alles um den Oberstaatsanwalt Drnholeckı freie Erfindung ist‚ agiert Tony zu großen Teilen in einem real existierenden Raum. So hat es seinen »Lehrmeister« Jürgen Schneider‚ den kriminellen Retter etlicher sächsischer Baudenkmäler ebenso wie das Dresdner Neumarkt–Projekt wirklich gegeben. Das heißt‚ Letzteres gibt es immer noch.
C: Es hat natürlich nichts mit Tony und kriminellen beziehungsweise rechtspopulistischen Kreisen zu tun.
H: Das wird ja auch im Roman nirgends behauptet…
C: Der Staatsanwalt Lechner versucht immerhin‚ eine solche Verbindung herzustellen beziehungsweise einen derartigen Verdacht zu formulieren…
H: Allerdings ohne Erfolg. Letztlich ist das ein typischer Fall von politischer Voreingenommenheit.
C: In Wirklichkeit ist der Dresdner Neumarktverein kreuzbrav und penibel um politische Korrektheit bemüht.
H: Ist mir bekannt. Grad‚ daß sie keine Transparente mit der Aufschrift: »Bomber Harris‚ wir danken dir« schwingen. Aber dafür hab ich sogar etwas Verständnis. Schließlich geht es denen nicht um müßige politische oder historische Auseinandersetzungen‚ sondern um eine möglichst weitgehende Reparatur des Dresdner Stadtbildes. Und im heutigen Deutschland ist offenbar so gut wie alles politisches Minenfeld‚ weshalb man sehr vorsichtig agieren muß.
C: Ironischerweise scheitert Tony in seinen Dresdner Bemühungen‚ weil man ihn antideutscher Umtriebe wie der Verherrlichung des Bombenkrieges verdächtigt‚ wobei sich gerade die Linken über ihn besonders echauffieren.
H: Ja‚ aber das ist eine komplizierte Geschichte‚ die man im hier zur Verfügung stehenden Raum besser nicht breittreten sollte…
C: Eh klar‚ ich hab das nur erwähnt‚ weil ich derartige ironische Passagen für besonders gelungen erachte.
H: Weiß nicht so recht. Imgrunde läßt die Realität kaum noch ironische Überzeichnung zu‚ aber auch ein solcher Satz ist reichlich abgenutzt.
C: Zweifellos ist es für ironische Autoren äußerst schwierig geworden. Glücklicherweise beherrschen Sie sowohl die feine Klinge als auch die groteske Überzeichnung.
H: Bei manchen mir ursprünglich grotesk anmutenden Scherzen bin ich mir mittlerweile nicht einmal mehr sicher‚ ob sie nicht schon bald Realität werden könnten.
C: Woran haben Sie da beispielsweise gedacht?
H: Etwa an die Aussagen der Wiener Kleriker oder Theologen gegen Schluß‚ beispielsweise hinsichtlich der Aufnahme ökumenischer Verhandlungen mit den Satanisten beziehungsweise der Anerkennung des Satanismus als heilbringenden Sonderweg.
C: Ich fand den Diskussionstitel: »Die Inkompatibilität des sogenannten Messianischen Reiches mit dem modernen Menschenrechtsbegriff« besonders witzig.
H: Auch da warte ich im Grunde nur täglich drauf‚ daß sich unser Erzbischof Schönborn endlich dazu mit der für ihn so typischen Differenzierung äußert.
C: Zum Abschluß unseres Gespräches noch eine rein literarische Frage: welche Autoren sind Ihre Vorbilder?
H: Ich muß eingestehen‚ nicht sehr belesen zu sein‚ gerade‚ was unsere Klassiker betrifft. Heimito von Doderer hat von sich gesagt‚ mit der österreichischen und deutschen Literatur keinen Zusammenhang zu haben‚ ja in der Jugend zu gewesen zu sein‚ um einen solchen zu gewinnen. Das mit der Dummheit würde auch auf mich zutreffen‚ ansonsten sehe ich Doderer schon als größtes Vorbild. Demnach hätte auch ich keinen Zusammenhang mit der älteren Literatur. Aber irgendwie empfinde ich das als ziemlich normal. Unsere heutige Zeit negiert alles Frühere‚ und auch wenn man diesen Zeitgeist verachtet‚ kann man sich nicht ganz von diesem lösen. So bekenne ich mich durchaus zum Katholizismus traditioneller Prägung‚ muß aber einräumen‚ ob meiner mir Verkommenheit und meines Zynismus kaum vor diesem bestehen zu können. Die Verkommenheit‚ die man als gleichzeitige Verweichlichung und Verdorbenheit bezeichnen kann‚ wurde mir sozusagen anerzogen‚ der Zynismus hingegen als einziges zur Verfügung stehendes Abwehrinstrument aufgezwungen. So etwas wie das‚ was wir derzeit haben‚ hat es einfach nie gegeben. Kann es auch gar nicht gegeben haben‚ denn solche Verhältnisse kann kein Volk‚ keine Gesellschaft oder Gemeinschaft über kurz oder lang überleben.
C: Aber es hat doch niemals an Dichtern und Schriftstellern gemangelt‚ die radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen geübt haben…
H: Ja‚ aber das waren eben radikale Schriftsteller und Dichter‚ die imgrunde nicht zu befrieden gewesen wären. Zu keiner Zeit konnte man es allen recht tun‚ und gewisse ewig Unzufriedene gibt es immer. Ich fühle mich aber nicht als Radikalinski. Ich wäre gern ein gemäßigter Linker‚ der für Sozialismus und Wohlfahrt‚ für Arbeitszeitverkürzung und Umweltschutz eintritt‚ daneben natürlich auch für den Erhalt unserer Kultur‚ ohne fortschrittsfeindlich zu sein‚ gerade in der Kunst nicht. Sicherlich denken viele Menschen so wie ich‚ vielleicht nicht unbedingt die Mehrheit‚ aber eine große Zahl. Heute werden wir‚ ich und meinesgleichen‚ zur extremen Rechten gezählt und müssen jedes Wort auf die Goldwaage legen.
C: Sie und Ihresgleichen? Ich weiß nicht‚ ob viele Intellektuelle aus dem linken Lager so denken wie Sie. Eher sind es die einfachen Arbeiter.
H: Es gibt auch viele intellektuelle Linke‚ die die Schnauze voll haben. Denken Sie bloß an Lafontaine oder Wagenknecht‚ beziehungsweise bei uns an Peter Pilz.
C: Na ja‚ deren Kritik nimmt sich letztlich sehr homöopathisch dosiert aus.
H: Glauben Sie mir‚ die denken nicht viel anders als wir‚ zumindest in gewissen Fragen nicht. Aber sie getrauen es sich nicht‚ ihre Meinung ungeschminkt zu äußern. Es ist ein Problem der Linken‚ daß sie wahre Opposition nicht mehr gewöhnt sind‚ daß sie medialer Anerkennung bedürfen und eine Angst vor dem Alleinstehen beziehungsweise medialer Diffamierung haben.
C: Gibt es außer Doderer überhaupt keine anderen Vorbilder?
H: Nun‚ sicher könnte man auch Kafka nennen. Gewisse mit uns in Verbindung stehende Aspekte hab ich schon angedeutet‚ darüber hinaus hab ich eine sehr hohe Meinung von seinem Werk‚ als übrigens einzigem der vom heutigen Mainstream so hochgelobten Autoren. Dafür kann Kafka nichts‚ daß er heute so hochgelobt wird. Ich sehe Kafka überdies nicht als völlig abstrakt und losgelöst von allem politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang. Natürlich ist es Unsinn‚ zu behaupten‚ aus seinem »Prozeß« wäre eine Kritik an den seinerzeitigen Justizverhältnissen herauszulesen. Aber letztlich leiden seine Helden stets an einer verrückten‚ überaus autoritären Welt‚ deren rabulistische Bösartigkeit sehr an unser Hier und Jetzt erinnert.
Von Doderer habe ich in meinem Roman einen ganzen Absatz zitiert; aber auch Kafka habe ich eine gewisse Referenz erwiesen. So sind zwei Sätze an einer nicht unwichtigen Stelle von seinem »Urteil« inspiriert‚ das heißt nicht wörtlich übernommen‚ aber sozusagen entlehnt und adaptiert. Bin gespannt‚ ob einige meiner Leser dahinterkommen werden.
C: Herr Haselhofer‚ ich danke für das Gespräch.

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