Der erste Single
(Wilhelm Castun)

Man muß keine völkische Weltanschauung haben‚ um in der Familie Sinn und Erfüllung des Lebens zu sehen. Auch im Realsozialismus galt die Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Im Protestantismus war das Pfarrhaus für seine große Kinderschar und das vorbildliche Familienleben bekannt. Die katholische Kirche hält seit 2000 Jahren mit Ausnahme der Priester die Familie für die Lebensform des Volkes. Damit durchaus in mosaischer Tradition stehend‚ pönt sie jede Art der Lust‚ die nicht der Kinderzeugung dient. Dabei muß man freilich berücksichtigen‚ daß die »Urketzerei« des Manichäismus eine Existenzbedrohung der Kirche war‚ die durch alle Zeiten weiterwirkt. Mani hatte gelehrt‚ der Mensch müsse sich konsequent der Fortpflanzung enthalten‚ dann stürbe das irdische Jammertal aus‚ und das Reich Gottes könne beginnen.
Hans Conrad Zander ist als Satiriker religiöser und kirchengeschichtlicher Themen berühmt. Damit hat er sich ein dankbares‚ ja‚ nie enden wollendes‚ Metier ausgesucht‚ weil der universale Anspruch des Glaubens immer seine paradoxe und komische Nachseite hat. Zanders Publikum sind aber nicht die Feinde der Kirche‚ sondern jene‚ welche die Heilsbedürftigkeit des Menschen ernst nehmen und gelegentlich nach einem Rettungsring gegen Verbiesterung greifen wollen. Man hüte sich deshalb vor voreiligen Schlüssen!
Viele Widersprüche in Lehre und Erscheinungsbild der Kirche hängen damit zusammen‚ daß Jesus‚ mit politischen Maßstäben betrachtet‚ ein anarchistischer Wanderprediger war‚ aber die Kirche‚ spätestens seit sie durch Konstantin zur Staatsreligion erhoben wurde‚ Konzepte der Ordnung und Stabilität entwickeln und tragen mußte. In Zanders Buch bekommen wir dies vergnüglich am Beispiel der Familie gezeigt. Geradezu überwältigend ist die Menge der Textstellen im Evangelium‚ in denen sich der Herr und Erlöser geradezu als Feind der Familie zeigt. Es bleibt nicht bei Worten. Seine Mutter schickt er nicht in ihre (seine) Familie zurück‚ er vertraut sie seinem Lieblingsjünger an.
Nachdem in den letzten zwei Jahrhunderten die Medizin große Fortschritte machte und die Kindersterblichkeit drastisch sank‚ wurde auch der Kindersegen manchenrorts zum Kinderfluch. Schauerlich mutet die Vorstellung an‚ die entfesselte Fruchtbarkeit Afrikas könne nur durch die Übernahme europäischer Lebensweise ein Ende finden. Man weiß von den rabiaten Maßnahmen‚ die in China wider ungebremstes Bevölkerungswachstum ergiffen werden. Vor diesem Hintergrund meint der Autor‚ sei es durchaus zeitgemäß‚ Jesus zum Kronzeugen gegen die Familie zu machen.
Wer aber den Autor kennt‚ weiß‚ daß es ihm fernsteht‚ Lösungsrezepte für die heutige Welt zu präsentieren. Er zeigt‚ daß die Bibel allen möglichen Verhaltensweisen Argumente gibt und damit letztlich‚ daß sie uns die Entscheidungen im verantwortlichem Handeln nicht abnehmen wird.

Zander‚ Hans Conrad: Der erste Single. Jesus‚ der Familienfeind. 2010. 224 S. ISBN 978-3-579-06531-1 Gütersoher Verlagshaus Gb. 17‚99 €

Zum Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift