Die Konstruktion des Unabombers
(Wilhelm Castun)

Rache ist süß‚ sagt der Volksmund. Die Kirche zählt Rachsucht zu den Todsünden. Dabei darf freilich gefragt werden‚ ob jede Rache bereits Rachsucht sei. Eine Tötung aus Rache verdammt unsere Kultur allgemein. Die Meinung des Volkes kann aber davon durchaus abweichen. Wenn eine Mutter den Vergewaltiger und Mörder ihres Kindes erschießt‚ sind die Sympathien auf seiten der Täterin. Es wird bedauert‚ daß der Staat nun mal nicht anders könne‚ als ihr den Prozeß zu machen. Es wird Milde gefordert.
Ted Kaczynski hat aus Rache getötet. Auch wenn offen bleiben muß‚ was er tatsächlich tat und was ihm das FBI anhängte‚ kann darüber kein Zweifel bestehen. Da er zu klug ist‚ um meinen zu können‚ durch Briefbomben würde das technokratische System gestürzt oder auch nur verunsichert‚ bleibt nur die Rache als Motiv.
Den modernen Menschen schaudert es bei dem Anblick von mittelalterlichen Folterinstrumenten. Zahllose Museen leben von der Lust am Schrecken. Die Folter gilt als eines der größten Übel auf der Welt. Die meisten Menschen fürchten sich sehr viel mehr vor körperlichen Schmerzen als vor seelischen. Dem ist entgegenzusetzen‚ daß jeder physische Schmerz von begrenzter Dauer ist‚ es gibt ja die Rede davon‚ daß es so schön sei‚ wenn der Schmerz nachlasse. Anders ist es mit seelischen Schlägen‚ wenn sie wirklich treffen. Man kann sie nicht vergessen‚ man nimmt sie mit ins Grab‚ wenn man nicht Genugtuung findet.
Die Erbin der mittelalterlichen Peinkammer ist die moderne Psychologie‚ eine Wissenschaft‚ in der die US-Amerikaner ganz unstreitig Vorreiter und Perfektionisten sind.
Wenn man von dem hier zu besprechenden Buch den Waschzettel auf dem Rücken liest‚ wo »das Netz« als LSD‚ Gestaltpsychologie‚ Arpanet‚ Wittgenstein‚ Sex‚ Rock'n'Roll und vielerlei mehr bezeichnet wird‚ denkt man zunächst an den Film »Die Matrix« und erwartet etwas zwischen Verschwörungstheorie und größenwahnsinnigen Diktatoren. Man findet aber dann keine Phantastik‚ sondern harte Fakten.
Zwischen 1946 und 1953 treffen sich im New Yorker Beekman Hotel auf Einladung der Josiah Macy Jr. Foundation führende Wissenschaftler verschiedener Gebiete. Ziel der vertraulichen Treffen‚ an denen auch Beamte der CIA teilnehmen‚ ist eine Wissenschaft‚ die Vorhersage und Kontrolle menschlichen Verhaltens möglich macht. Eine dringend benötigte Waffe im Kalten Krieg. Wesentliche Basis ist die Studie »Die autoritäre Persönlichkeit«‚ die von einem Ableger des Frankfurter Instituts für Sozialforschung um Horkheimer und Adorno erstellt wird. Die Autoren der Studie sehen die »autoritäre Matrix« des Menschen als Schlüssel zur Psychologie des Faschismus und totalitärer Systeme überhaupt. Diese Matrix bilde sich durch Erziehung und Tradition. Bis hierhin keine Überraschung. Aber jetzt kommt der Hammer. Diese Matrix sei »unauflösbar verbunden mit der metaphysischen Vorstellung von einer übernatürlich geschaffenen Natur«.
Während die Bolschewisten die Religion schlechthin bekämpften‚ ist hier die Zielrichtung sehr viel feiner. Spiritualität‚ Esoterik‚ Kult und Ritual‚ alles null problemo‚ ein einziges soll ausgemerzt werden: der Glaube an den Schöpfergott‚ Gott Vater.
Natürlich sind sich die meisten derer‚ die im Dienste dieser Umerziehung arbeiten‚ dieser Konsequenzen nicht bewußt. Sonst wäre es auch nicht gelungen‚ den größten Teil des Klerus in dieses Programm einzuspannen. Aber in der Definition der »autoritären Matrix« zeigt sich klar‚ wer Auftraggeber dieser Waffe aus Psychologie‚ Kybernetik und Computertechnologie ist: der Teufel und niemand sonst.
Kommen wir von der Theorie zur Praxis. Schon 1951 wird von Henry Murray das Programm der »One World« vorgestellt‚ dessen Führerschaft die USA übernehmen müßten. Dieser im Krieg hochdekorierte Offizier führt in einer Villa bei Washington Experimente mit Sex und LSD durch‚ wo den Probanden ein »Superego« entwickelt werden soll. Die Opfer müssen zunächst ihren Lebenslauf‚ ihre Wünsche und Sehnsüchte beichten. Dann wird ihr Sexualleben genaustens durchleuchtet. Auf der Basis dieser Daten wird ein Stress-Interview durchgeführt. Während Elektroden Puls und Herzschlag messen‚ wird der Probant hart verhört und verspottet‚ seine intimsten Dinge werden lächerlich gemacht. Die Figur‚ die er dabei macht‚ muß er sich überdies später zahllose Male am Bildschirm ansehen.
Derartige Foltern wurden vorzugsweise mit universitären Eliten durchgeführt. Ted Kaczynski‚ als genialer Mathematiker in Harvard‚ blieben solche und weiter verfeinerte Methoden nicht erspart. Vor diesem Hintergrund relativieren sich seine Tötungsabsichten nicht unerheblich.
Interessanter als das Schicksal einer Einzelperson sind die Konsequenzen aus den Absichten eines unvorstellbaren Machtapparates für alle Menschen. In Dammbecks Buch findet sich eine große Materialfülle für die These‚ daß das technologische System nach einer totalen Anpassung der menschlichen Natur strebt‚ also daß nicht die Technik dem Menschen dienen soll‚ sondern umgekehrt.
Daß ein Mathematikprofessor‚ von dem es hieß‚ seinen Gedankengängen könnten nur eine Handvoll Mathematiker in den USA folgen‚ alles hinschmeißt und sich im Wald ein Blockhaus baut‚ ist ungewöhnlich genug. Daß er dann ein Buch über die Psychologie der universitären Eliten und über Niedergang menschlicher Potenzen im Zuge der Technisierung schreibt‚ vielleicht nicht mehr. Daß dies niemand druckt‚ wundert schon gar nicht‚ denn diese Absage ist viel fundamentaler als jene der Aussteiger‚ die sich Ziegen für ihre Milch halten‚ aber das Futter im Großmarkt kaufen.
Kurzum‚ Lutz Dammbeck interviewt in seinem Buch die technologische und künstlerische Elite in Amerika‚ die heute am sozialen Netzwerk forscht und arbeitet‚ das eine »autoritäre Matrix« wirksam und sicher ausschließen soll. Wenn er dort den Namen Kaczynski erwähnt‚ begegnet ihm allgemein eisiges Schweigen. Wenn überhaupt etwas gesagt wird‚ dann in etwa‚ es sei vollkommen gleichgültig und belanglos‚ was einer gesagt oder geschrieben habe‚ der ein Mörder sei.
Daneben bringt das Buch das »Manifest des Unabombers« und zwar nicht in einer der Fassungen‚ die fehlerhaft und entstellt im Internet kursieren‚ sondern in einer aus dem Gefängnis autorisierten Version. Beeindruckender noch als diese klare Analyse‚ die alle Behauptungen einer Verrücktheit des Bombers lächerlich macht‚ sind die Briefe‚ die Kaczynski aus dem Gefängnis an Dammbeck geschrieben hat. Er schreibt deutsch und bittet einmal um ein besseres englisch-deutsches Wörterbuch‚ seines sei sehr klein und außerdem völlig zerschlissen. Schon der Stil dieser deutschen Briefe ist eine Beschämung für die meisten deutschen Schriftsteller: fehlerfrei‚ glasklar‚ didaktisch‚ warm und bildhaft.
Wenn ich mit Kaczynski sprechen könnte‚ so würde ich ihn als erstes fragen‚ warum er nach seinem Abschied von Harvard‚ nicht die Höhle des Löwen‚ die USA‚ verlassen hat‚ denn der Ungeist unserer Zeit mag zwar weltweit wirken doch nirgendwo so dicht und unerbittlich wie in »Gottes eigenem Land«. Was mich an Kaczynskis Schicksal am meisten betroffen gemacht hat‚ ist der Umstand‚ daß ihn sein eigener Bruder an das FBI verraten hat und alle Nachbarn tatkräftige Hilfe bei seiner Verhaftung leisteten.

Dammbeck‚ Lutz: Das Netz. Die Konstruktion des Unabombers. 2. Aufl. 2010. 184 S.‚ ISBN 978-3-89401-453-7 Edition Nautilus Kt. 13‚90 €

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