Mein Leben in drei Geheimdiensten
(Wilhelm Castun)

Claudia Wagner von der »Jungen Welt« leitet ihre Eindrücke von der Buchvorstellung in der Berliner Kulturbrauerei wie folgt ein: »Eines muß man ihm lassen: Er tut nicht so‚ als habe er die Seiten gewechselt‚ weil ihm ein demokratisches Licht aufgegangen sei. Als ideologischer Kronzeuge eignet er sich schlecht.«
In diesem Buch scheint mir‚ weit mehr als in gemeinhin in Autobiographien‚ das Geltungsbedürfnis die Feder geführt zu haben. Werner Stiller will eine frühere Darstellung seiner Geheimdienstkarriere »Im Zentrum der Spionage«‚ die 1986 durch den BND bearbeitet wurde‚ richtigstellen‚ ebenso das Buch‚ daß seine Tochter im Jahre 2003 unter dem Titel »Verratene Kinder« erscheinen ließ. Ich muß allerdings feststellen‚ daß mir der Spion in der Abrechnung seiner Tochter sympathischer erschien als in dieser Autobiographie. Im Unterschied zu früheren Veröffentlichungen ergänzt sie die Agententätigkeit um die Kindheit des Protagonisten und seine zweite Karriere im nachwendlichen Bankwesen.
Ein Detail vorab. Am Kulminationspunkt‚ der Flucht über den Bahnhof Friedrichstraße in Berlin‚ hat der Autor den Thriller wesentlich gemildert. Es heißt nun nur noch‚ daß er in den ersten Wagen der U-Bahn eingestiegen sei. Der frühere Passus‚ er habe die Hand am Revolver gehabt und sei bereit gewesen‚ den U-Bahnfahrer im Falle eines roten Signals denselben an die Schläfe zu halten und ihn zur Weiterfahrt zu zwingen‚ fehlt im neuen Buch. Offenbar paßte dies dem smarten Lebemann nicht mehr recht ins Konzept.
Der Titel des Buches ist eine groteske Übertreibung. Werner Stiller fühlt sich berufen‚ den Geheimdiensten Noten zu geben‚ wobei er den CIA mit »sehr gut«‚ das MfS mit »befriedigend« und den BND mit »ungenügend« bewertet. In Wahrheit hat er in keinem Geheimdienst außer dem MfS wirklich »gearbeitet«. BND und CIA haben ihn lediglich als Quelle abgeschöpft. Bei der CIA gibt er die Selbstdarstellungs-Propaganda unreflektiert weiter. Offenbar geriet er da an Leute‚ denen Spielernaturen wie er sympathisch sind. Über den BND fällt sein Zeugnis so vernichtend aus‚ weil dieser auf Stillers Ansinnen‚ Doppel-Agent zu werden‚ nur sehr zögerlich einging und letztlich nur an den Adressen der IMs im Westen interessiert war. Werner Stiller hatte sich ganz andere Perspektiven erträumt‚ nur die Herren in Pullach wollten ihm leider nicht zutrauen‚ für einen Systemzusammenbruch in Ostberlin zu sorgen. Schon sein erster Kontaktversuch mit dem BND zeugt von Größenwahn. Die Pullacher sollten zum Zeichen‚ daß sein Angebot angekommen sei‚ die Beleuchtung am Springerhochhaus für zehn Sekunden löschen‚ daß er dies von Ostberlin aus bemerken könne. Zweifellos hielt sich Herr Stiller für den Mittelpunkt der Weltgeschichte.
Stiller preist die CIA als »offensiv und strategisch«‚ während der BND übervorsichtig agiert habe und das Attribut »skandalumwittert« gescheut habe. Offenbar ging der BND mit Deutschland nicht um‚ wie Herr Stiller mit den Frauen‚ die er wechselte wie das Hemd. Es geht hier nicht um irgendwelche Bettgeschichten‚ es geht hier um stärkste Bindungen von Partnerinnen‚ von denen eine sogar ihr Leben riskierte. Als die Geheimdienste ihn nicht weiterbeschäftigen wollen‚ steigt er ins Bankengeschäft ein‚ wo er natürlich auch der tollste Hecht ist. Obwohl er angeblich immer alles mit höchster Klugheit vorausschauend macht‚ so verkauft er eine Villa in London kurz bevor die Immobilienpreise purzeln‚ rechtzeitig vor der Bankenkrise steigt er vom Bankgeschäft in die Realwirtschaft um etc. etc.‚ hat er am Ende im Grunde genommen nichts‚ und wenn man das Photo auf dem Einband des Buches sieht‚ fragt man sich ernstlich‚ wieso so viele Frauen auf ihn hereinfallen konnten.
In dieser Autobiographie läßt der Autor kein Zeichen von Gier nach Lust und Luxus‚ nach Abenteuer und Exzeß‚ nach souveränem Hinweggehen über alle kleinbürgerlichen Bedenken aus. Schon als Kind habe er die Schwachpunkte der DDR-Wirtschaft und der Besatzungstruppen erkannt und mit finanziellem Höchstgewinn ausgenutzt. Obwohl er zugibt‚ seinen Judaslohn in den USA schon nach kürzester Zeit vollkommen verzockt zu haben‚ erwähnt er genüßlich‚ daß er bei einem Abstecher nach Las Vegas grundsätzlich die Pokertische abräume. Wenn dieses Buch ein schätzenswertes Zeitdokument ist‚ dann deshalb‚ weil es zeigt‚ daß Typen‚ wie sie im Westen weithin den Ton angeben‚ auch in der DDR gehätschelt und gefördert wurden. Ich bin sehr skeptisch bei Stillers Behauptungen‚ aber ich nehme ihm ab‚ daß er schon bei der ersten IM-Anwerbung mit der Aussicht auf einen Einsatz im Westen gelockt wurde. Die Aussicht‚ NSW-Kader zu werden galt in der DDR als ein häufig eingesetztes Motivationsagenz. Man muß sich freilich fragen‚ was für selbstlose Kämpfer für Frieden und Sozialismus jene gewesen sein mögen‚ die es als selbstverständlich voraussetzten‚ jedermann Ziel und Wunsch sei es‚ die Wonnen des westlichen Warenfetischismus zu genießen.

Stiller‚ Werner: Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten. 2010. 252 S. ISBN 978-3-86153-592-8 Christoph Links Verlag Gb. 19‚90 €

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