Smiling Death
(Wilhelm Castun)

»Die Kunst‚ lächelnd von einem Tisch aufzustehen« heißt dieser Roman im Untertitel. Diese Kunst beherrscht der Held von der ersten bis zur letzten Seite des Buches. Noch als ihn seine Frau in der Todeszelle des Terroristen-Gefängnisses besucht‚ führt er leichte und läppische Unterhaltungen‚ erkundigt sich etwa‚ wie es denn auf den Azoren sei. Lächelnd vom Tisch aufstehen‚ heißt hier‚ das Leben nicht ernst nehmen und den Tod ebensowenig.
Der Verlag kündigt das Buch als Satire an‚ aber vielleicht fehlt es mir an Humor‚ dies zu erkennen. Der Roman spielt in einer nicht allzufernen Zukunft im Regierungsviertel in Berlin. Es ist Wahlkampf und der Held ist Kanzlerkandidat der SPD‚ die sich inzwischen einen albernen Namen zugelegt hat‚ ebenso wie die noch regierende CDU‚ die noch die Kanzlerin stellt‚ mit der aber wohl nicht die jetzige gemeint ist. Die NPD hat sich mit den Linken zusammengeschlossen‚ aber diese Fragen werden nicht vertieft. Außenpolitisch ist die Tschechei einem Rauswurf aus der EU durch Austritt zuvorgekommen‚ zuvor war sie gemeinsam mit Rußland in der Ukraine einmarschiert. Innenpolitisch erfahren wir nur‚ daß die Gewaltkriminalität so zugenommen hat‚ daß die Verbrechensbekämpfung zum wahlentscheidenden Thema geworden ist‚ wobei die SPD im Wahlkampf dafür eintritt‚ die‚ zunächst nur für Terrorismus wieder eingeführte‚ Todesstrafe auf weitere Gewaltverbrechen auszuweiten. Außerdem gibt es in Thüringen‚ Sachsen und Bayern starke separatistische Bewegungen. Alle anderen Dinge sind läppisch bis absurd. Da streiten sich Regierung und Opposition mit Tier- und Planzenschützern‚ wobei Einigkeit besteht‚ daß die Tötung von Pflanzen und Tieren der Tötung von Menschen gleichzustellen sei. Strittig ist allein‚ ab wieviel Zentimetern Größe der Schutz greifen soll‚ die Schützer fordern zehn Zentimeter‚ während die Regierung eine Schutzgrenze von hundert Zentimeter für angemessen hält. Dabei fallen Argumente der Art‚ daß es doch den Bürgern erlaubt sein müsse‚ das Unkraut zwischen den Gehwegplatten zu jäten‚ und es doch wohl kaum möglich sei‚ immer rascher zu sein als ein Wachstum von zehn Zentimetern. Die Frage‚ wie wir von derart kurzen Getreidehalmen Brot backen sollten‚ wird nicht gestellt. Überhaupt kommen Fragen der Wirtschaft nicht vor.
Obwohl es zu den Pflichten des Kandidaten gehört‚ landauf und landab Wahlkampfveranstaltungen zu halten‚ kommt die Handlung eigentlich nie aus Berlin Mitte heraus. Die Präsenz der Technik ist überwältigend‚ die Steriltät des Lebens kaum noch zu überbieten. Die Schwester des Kandidaten heiratet einen Produzenten von Hinrichtungsmaschinen‚ den der Ehrgeiz treibt‚ zum Weltmarktführer aufzusteigen. Dieser wird schließlich zum Großsponsor der Partei‚ wobei der Kandidat vor vollendete Tatsachen gestellt wird. In die allgemeine Tristesse von Zynismus und Verlogenheit stellt sich eine Affäre mit einer jungen Dame‚ die sich später als die Miss Berlin entpuppt. Diese Affäre wird von der gegnerischen Partei eingefädelt und gefirmt und kurz vor der Wahl von einer Boulevardzeitung ausgeschlachtet. Zu diesem Zeitpunkt hat der Held‚ wegen später noch erwähnender Schwierigkeiten‚ bereits Lust‚ die Sache hinzuschmeißen. Seine Wahlkampf-Mannschaft macht jedoch die Hoffnung auf einen Abgang zunichte‚ indem sie publikumswirksam für das Recht der Politiker‚ ein Privatleben zu haben‚ eintritt und den Enthüllungsjournalisten eine Abfuhr erteilt. Als der Held durch ein schriftliches Geständnis seiner Geliebten erfährt‚ daß die Intrige mit ihrem Wissen gestrickt wurde‚ läßt er die Sache fallen‚ obwohl der Leser gerade einmal hier hofft‚ es käme menschliche Leidenschaft ins Spiel. Es bleibt aber bei Grautönen‚ die Ehe ist traurig‚ aber nicht schrecklich‚ die Mutter ist im Pflegeheim‚ aber gut versorgt‚ die Streitereien der Kandidaten sind geschmacklos‚ aber nicht ernst‚ und die Journalisten sind wichtigtuerische Schmeißfliegen‚ aber so originell wie die Architektur der Bürokomplexe.
Während die Liebesaffäre folgenlos bleibt‚ bahnt sich schon bald und dies durchaus mit Spannung‚ ein Konflikt an‚ weil ein Gefährte aus extremistischen Jugendjahren in das Leben des Kandidaten tritt. Zu viert hatte man einst eine Zeitbombe in ein Atomkraftwerk gebracht‚ um öffentlichkeitswirksam auf das Gefahrenpotential hinzuweisen. Man hatte vereinbart‚ im Falle des Mißlingens auseinanderzugehen und sich nicht mehr zu kennen‚ um der Fahndung keinen Anhaltspunkt zu bieten. Daran hat sich der Kandidat gehalten und wußte darum nicht‚ daß zwei seiner Gefährten bei dem Anschlag ums Leben kamen und der dritte so verletzt wurde‚ daß ein Teil seines Körpers aus Prothesen besteht. Dieser Typ taucht nun im Leben des Kandidaten auf und sucht ihn zu zwingen‚ auf die Kandidatur zu verzichten. Nachdem er zunächst wie ein Schatten um den Kandidaten schleicht‚ stellt dieser ihn entschlossen zur Rede. Als sich seine Erinnerung etwas erhellt und er die Forderung des Erpressers kennt‚ hat er nur noch den Gedanken‚ wie er ihn gewaltsam zum Schweigen bringen kann. Dabei geht er so wenig auf den Erpresser ein‚ daß er später nicht einmal in der Lage ist‚ dem gedungenen Killer eine taugliche Personenbeschreibung zu geben. Er vertraut sich seinem Schwager‚ dem Hinrichtungsexperten an‚ der einen Profi für derlei Fälle besorgt. Dieser hat jedoch keinen Erfolg‚ im Gegenteil‚ ihm wird die Hand abgehackt und diese per Post an den Auftraggeber gesandt. Außerdem fällt er in die Hände der Terrorfahndung und wird zu einem umfassenden Geständnis gebracht. Schließlich versucht der Kandidat seinen Peiniger selbst zu erschießen‚ im entscheidenden Moment verläßt ihn aber der Mut.
Parallel zu dieser grotesken Kriminalgeschichte stellt der Großsponsor der Partei seine neueste Hinrichtungsmethode vor: den lächelnden Tod‚ der dem Roman den Titel gibt. Es handelt sich um eine Elektronik‚ welche das Traumleben im Gehirn so stark aktiviert‚ daß der Verurteilte ab einer bestimmten Stärke gewisserweise vor Glück stirbt. Eine abgespeckte Variante des Programms wird in einer vom Fernsehen übertragenen Wahlkampfveranstaltung präsentiert. Hier wird die Glücksimulation nur so weit gesteigert‚ wie sie nicht gesundheitsschädlich ist. Nach einem Vortrag des Firmenchefs wird der Parteivorsitzende genötigt‚ öffentliche Testperson zu sein. Nach seiner Begeisterung wollen plötzlich alle auf den Hinrichtungsstuhl‚ und der Chef offenbart seinem Schwager am nächsten Tage‚ daß die Fernsehshow seine Auftragsbücher gefüllt habe. Die allgemeine Begeisterung wird nur durch ein paar Kritiker getrübt‚ die meinen‚ daß eine solche Sause für Übeltäter unangemessen sei.
Der Hinrichtungsspezialist profiliert sich schon ganz am Eingang des Buches‚ wo erzählt wird‚ er habe einen Verein gegen die Todesstrafe gezielt unterwandert und aufgekauft‚ bis dieser schließlich zu einem Verein gegen inhumane Hinrichtungsmethoden wurde. Damit greift der Autor ein wichtiges Thema auf. Die Leute entsetzen sich zwar‚ wenn Blut spitzt‚ aber sie lassen sich nur allzugern überzeugen‚ man könne Störfaktoren der Gesellschaft human und gewaltfrei entsorgen. Doch während im Mittelalter der Obrigkeit bei der Bekämpfung des Verbrechens gar nichts anderes übrig blieb‚ als rabiate Mittel einzusetzen‚ ist heute die Gewalt des Staates über den einzelnen in geradezu astronomischer Weise gestiegen. Mord ist die Tötung von Wehrlosen. Gegenüber dem Staat sind heute alle wehrlos‚ und deshalb ist die Todesstrafe heute Mord. Jede Diskussion über die Methode ist reinster Zynismus. Dies wird im Buch gut gezeigt.
Als Roman kann das Buch aber nicht überzeugen. Es wird eine großartige Exposition aufgebaut‚ aber es kommt keine wirkliche Handlung in Gang. Wo sie zu beginnen scheint‚ bricht sie unvermittelt ab. Die Figur des Erpressers bleibt schemenhaft‚ ein wirklicher Gegenspieler des Kandidaten sähe anders aus. Sein Motiv sich zu stellen‚ nachdem erfolglos auf ihn geschossen wurde‚ ist nicht schlüssig. Er bringt ohne Not die Terrorfahrdung auf den Plan‚ die ihn und den Gegenspieler vernichtet. Später bekennt er‚ er wolle das Glück des Hinrichtungsautomaten kennenlernen‚ welches er sich finanziell nicht leisten könne. Daß ihn die Fernsehshow lebensmüde gemacht hat‚ erscheint nicht gerade als dramaturgischer Kunstgriff. Auch die abgehackte Hand ist schauerlich‚ aber für den Gang der Handlung einfach nur blöde. Die Antiwelt des Kandidaten ist genauso unwirklich und gespenstisch wie sein Alltag im Politgeschäft. Reizvoller wäre es gewesen‚ wenn dem Gelaber der Medien-Seifenblasen ein pralles‚ leidenschaftliches und wirkliches Leben gegenübergestellt würde.

Schirneck‚ Huber: Smiling Death. Oder Die Kunst‚ lächelnd von einem Tisch aufzustehen. 2011. 187 S. ISBN 978-3-938625-64-4 Satyr Verlag Kt. 13‚90 €

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