Erex saga
(Wolfgang Schühly)

Es stimmt traurig‚ daß heute viele literarische Gattungen verkümmern. Dies betrifft vor allem das Epos und die Ballade‚ aber auch das Drama. Weithin ist es zum Drehbuch der Filmproduktion verniedlicht‚ aber auch die Stücke‚ die für die Bühne entstehen‚ sind weniger Sprachwerke als oft multimediale Unterhaltungen. Mit dem klassischen Anspruch‚ die Nation zu erziehen‚ wurden auch klassische Form und klassischer Inhalt aufgegeben. Da ist es eine Freude‚ wenn der zeitgenössische Dichter Uwe Lammla mit seinem 2014 vorgelegten Dramenband »Erex Saga« einen Gegenpol setzt.
Erex Saga vereint fünf Stücke‚ die in den Jahren 2009 bis 2012 entstanden. Die zu verschiedenen Untergattungen gehörigen Dreiakter umfassen jeweils um die 60 Seiten‚ und ihnen ist gemeinsam‚ daß sie mittelalterliche Stoffe gestalten. Im Prolog‚ der an alte Texte gemahnt‚ wird auf jene Zeit eingestimmt‚ während die Konflikte Allgemeinmenschliches mit sehr heutigen Fragen und Entscheidungssituationen verbinden. Das Eingangs- und das Endstück (»Laudine« und »Erex Saga«) handeln im Sagenkreis der Artusritter. Häufigstes Motiv ist eine Art Tannhäuser-Quest‚ ein Sündenfall des Helden und eine Läuterung durch Liebe und christliche Weisheit. Dabei werden die Tugend-Kategorien der Liebe ausgebreitet‚ die griechischer Auffassung folgend‚ als philia (Freundschaft)‚ pistis (Treue‚ Glauben und Vertrauen) und eusebeia (Gottesfurcht‚ Ehrfurcht und Liebe gegen das Vaterland resp. gegenüber Eltern und Verwandten) bezeichnet werden können. Entlang dieser Kategorien bewegen sich die »Vervollkommnungstendenzen« der Protagonisten. Lammlas Figuren sind in der Weise mittelalterlich‚ weil sie nicht psychologische oder soziale Typen sind‚ aber sie sind modern‚ weil sie in angemessenem Umfang auf solche Weise Freunde und Kontrahenten zu begreifen suchen. In ihren Schattierungen ist genug Raum für unerwartete dramatische Wendungen und eine gehörige Portion Humor und Selbstironie.
In dem Minnespiel »Laudine« wird die Frage in Hartmann von Aues »Iwein« »Kann eine Frau den Mörder ihres Mannes heiraten?« neu beantwortet und dies gleich mehrfach‚ entsprechend der Einsicht‚ welche die Handelnden inzwischen gewonnen haben. Aus einer heute schwer nachvollziehbaren Konstallation entsteht eine neue Schlüssigkeit und dies auf eine bei aller Härte höchste heitere Weise. Bei Lammla findet sich der Ritter Iwein zerrissen zwischen der Minne zu Laudine und seinen Verpflichtungen für sein Volk. Seine Bestimmung zu finden‚ bedarf er des Rats der Tiere‚ des Waldes‚ aber auch der Frau Minne und sogar eines Auftrittes des Dichters selber‚ der mit Aristoles hadert und durch Frau Minne belehrt wird.
In »Siegfrieds Tod« folgt der Autor Hebbels Nibelungen-Deutung. Die vom Christentum entmachteten alten Götter planen einen Aufstand und setzen auf einen Bund zwischen Siegfried und Brünhilde‚ das Paar soll die Recken des Umsturzes zeugen und gebären. Aber Siegfried pfeift auf diese Mission und folgt seinem Herzen. Damit fordert er das Schicksal heraus. Die Liebe zwischen Siegfried und Krimhild ist ergreifend. Gleichzeitig wird Krimhild nicht traditionell passiv‚ sondern um ihr Glück kämpfend gezeigt. Mit Zähigkeit entwickelt sie ein Rettungsplan‚ der in seinem knappen Scheitern die Tragödie zu höchster Dichtung und Spannung steigert.
»Engelhard«‚ ein Treueexempel nach dem Roman des Konrad von Würzburg‚ zeigt die Freundschaft zweier Ritter‚ die ihre zum Verwechseln große Ähnlichkeit für zur Deckung eines Eidbruchs mißbrauchen. Bei der Sühne spielt Merlin eine entscheidende Rolle‚ der im Eingang bei der Freundessuche vom Helden verworfen wurde. Im Gang der Handlung nimmt das Traumhafte kontinuierlich zu und stellt auch die Vorgeschichte zunehmend in träumerisches Licht. Eine Meditation über Prädestination und Verantwortlichkeit.
»Der arme Heinrich« ist die Geschichte einer wundersamen Heilung‚ ein Miraculum. Ein Aussätziger durch die Liebe einer Frau geheit. Die Tradition wird nicht nur dadurch durchbrochen‚ daß dieses Wunder in einem Freudenhaus geschieht. Zum Ende stellt sich auch noch heraus‚ daß diese Liebe weltgeschichtliche Konsequenzen hat. Da ist natürlich allerlei Augenzwinkern dabei‚ wie etwa‚ wenn der Priester klagt‚ wie toll es doch wäre‚ wenn dergleichen bei ihm in der Messe geschähe. Das Stück ist das heiterste der Sammlung‚ wenngleich auch hier der Teufel in Gestalt verbrecherischer Ärzte nicht fehlt.
Ich will nicht alles verraten‚ sondern zusammenfassen‚ daß Lammla‚ als Lyriker kein Unbekannter‚ im Drama ganz neue Dimensionen erschließt und sich damit überzeugend in eine große Tradition stellt.
Natürlich gehörten diese Werke auf die Bühne‚ für die sie geschrieben wurden. Aber solange das Theater sich eher am Jahrmarksgaukler orientiert als am Bildungsgedanken der Klassik und meint‚ dem Publikum keine voluminösen und gar gereimte Texte zumuten zu können‚ werden ihnen die großen Häuser verschlossen bleiben. Es gibt jedoch hoffnungsvolle Ansätze für eine Gegenkultur »von unten«. Diese auf Lammlas Werk hinzuweisen‚ dazu möge diese Rezension beitragen.

Lammla‚ Uwe: Erex saga. Dramen. 2014. 315 S. ISBN 978-3-926370-76-1 Arnshaugk) Kt. 18‚– €

Zum Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift